Ist er jetzt doch noch endlich, wirklich angekommen? Nicht nur eine
biographische Odyssee hat der 1926 geborene Edgar Hilsenrath hinter sich, von
seiner Geburtsstadt Leipzig über die Bukowina, das Ghetto in Transnistrien,
Palästina, Frankreich, die USA nach Berlin. Auch seine Rezeptionsgeschichte
ist mehr als verwickelt. Immer wieder engagierten sich größere
deutsche Verlage und liessen den kontroversen Autor dann doch wieder fallen wie
eine heiße Kartoffel. Seit zwei Jahren erscheint nun endlich eine
Werkausgabe - nicht bei Suhrkamp oder Hanser, sondern im kleinen Dittrich
Verlag; sein Archiv hat Hilsenrath letztes Jahr der Akademie der Künste
übergeben, die daraus jetzt schöpfen konnte bei einer Ausstellung
über sein Leben und Werk. Für nächstes Jahr ist ein neuer Roman
mit dem Titel Berlin ... Endstation angekündigt. Die Ehrungen für den
greisen Autor kommen sehr spät, fast zu spät. Warum?
Hilsenrath erfand - im Exil an seiner großen Liebe, der deutschen
Sprache festhaltend - ganz eigenständige, unkonventionelle Mittel,
seinem großen traumatischen Lebensthema, dem Horror im Ghetto, literarisch
zu begegnen. Er war unbeirrbar genug, sich als deutscher Schriftsteller in den
USA mit Gelegenheitsjobs mühsam über Wasser zu halten und mit langem
Atem an seinem ersten Buch, dem Ghetto-Roman Nacht, zu arbeiten. In der BRD gab
es für dieses Buch in den sechziger Jahren keine Fürsprecher. Einzig
der Verleger Helmut Kindler war überzeugt, konnte sich damit aber nicht
einmal in seinem eigenen Haus richtig durchsetzen. Der nächste Roman,
Hilsenraths bekanntestes Buch Der Nazi&der Friseur, mußte erst in den
USA zum Erfolg werden, ehe sich mit Helmut Braun in Köln wenigstens ein
engagierter Kleinverleger dafür interessierte. Hilsenraths bitterböser
schwar-zer Humor, die Anwendung von Mitteln der Satire und Groteske auf das
Thema Holocaust, überforderte damals selbst wohlmeinende Leser. Ein
Großkritiker wie Fritz J. Raddatz dekretierte, daß man so nicht
darüber schreiben dürfe. Und überhaupt: Die Kinder der Täter
wollten sich von den Opfern nicht dreinreden lassen bei der korrekten
Aufarbeitung der Vergangenheit.
Wenn heute aber eine Hilsenrath-Ausstellung mit salbungsvollen Worten des
Akademie-Präsidenten und Blick auf das Brandenburger Tor eröffnet
wird, wenn sich niemand mehr daran stört, wie der jüdische Autor Opfer
erbarmungslos als triebhafte, rücksichtslose Figuren zeichnet, dann kann
einem das schon auch zu denken geben. Und wenn Nina Raven-Kindler, die Frau des
Verlegers, in einem in der Ausstellung gezeigten Brief an Hilsenrath ihrer
Befürchtung Ausdruck verleiht, das deutsche Publikum warte nur auf Stoff,
"um seine antisemitische Haltung zu rechtfertigen": Muß man das nur
als ignorant und kleinmütig lesen oder nicht vielleicht auch als Ausdruck
einer Sensibilität im Umgang mit der Vergangenheit, die nach der rot-
grünen Normalisierung in der "Berliner Republik" nicht mehr sehr
verbreitet ist?
Edgar Hilsenrath, der immer auch unterhaltsam schreiben wollte, macht es seinen
Lesern jedenfalls nicht leicht, sein Werk wirft Fragen auf und hat keine
einfachen Antworten. Die Ausstellung in der Akademie der Künste ist ein
guter Auftakt für eine eingehendere Beschäftigung mit dem vielleicht
unbequemsten Exponenten der Holocaust-Literatur.
Quelle:
Berliner Statdzeitung Scheinschlag