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Die ZEIT
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Die ZEIT
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Thomas Kraft (Hrsg.)
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Der Grenzgänger
Edgar Hilsenrath
wurde siebzig
Jahre alt


Auch Bücher
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Leben im Land
der Täter:
Der Schriftsteller
Edgar Hilsenrath




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Mit Edgar Hilsenrath

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"Verliebt in die deutsche Sprache - Die Odyssee des Edgar Hilsenrath"

Wanderausstellung des
Edgar-Hilsenrath-Archivs
der Akademie der Künste
Berlin

15. Mai bis 14. Juli 2006
HS Fulda Transfer
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1. bis 28. August 2006
Gerhart-Hauptmann-Haus
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Der Grenzgänger

Edgar Hilsenrath wurde siebzig Jahre alt

Von Susanne Urban-Fahr

Die Unsäglichkeit der nationalsozialistischen Judenverfolgung und - vernichtung wurde scheinbar zum Unsagbaren. Eine belletristische Verarbeitung der Shoah wurde daher zunächst prinzipiell in Frage gestellt, wegen unangemessener ästhetisierung oder zu krassem Realismus. Theodor W. Adorno diente mit seiner Aussage als Beleg: daß man nach und vor allem über Auschwitz keine Gedichte mehr schreiben könne. Seine schrittweise Aufhebung, daß »das Leiden soviel Recht auf Ausdruck (hat) wie der Gemarterte zu brüllen«, weshalb »falsch gewesen sein (mag), nach Auschwitz ließe sich kein Gedicht mehr schreiben« (Adorno, Negative Dialektik, Frankfurt am Main 1975, S. 355), wurde nicht mehr registriert. Heute gibt es die Frage nach dem »Ob« einer solchen Literatur nicht mehr. Es existiert eine umfassende belletristische Literatur zur Shoah: Autobiographien, Romane, Gedichte, Kurzgeschichten, Balladen. Die Frage, um die es heute geht, lautet vielmehr: Ist die Form gut gewählt? Sind Sprache und Gestaltung dem Thema angemessen? Doch wer sich dazu aufschwingt, darüber zu urteilen, ob ein vielleicht eher unbeholfener Bericht eines überlebenden, das Werk Primo Levis oder gar die sprachliche Verfremdung wie bei Paul Celan ästhetisch »besser« sind, sollte vorsichtig sein, denn vieles entzieht sich einer Bewertung. Begreifbar sind die beschriebenen Ereignisse kaum. Und die letzte Grausamkeit, der endgültige Realismus, bleiben dem Leser ohnehin verborgen, denn dies überfordert zumeist sogar die Grenzen des Schreibenden. Zu bedenken ist auch, daß Literatur über die Shoah immer von Engagement beseelt ist. Sogar noch in ihrem schrecklichsten Realismus.

Edgar Hilsenrath, am 2. April 1926 in Leipzig geboren, ist ein solch zynisch - melancholisch - schrecklicher Realist. 1938 wurde er gemeinsam mit der Mutter und dem jüngeren Bruder vom Vater, der noch nach Frankreich fliehen konnte, nach Siret in die rumänische Bukowina geschickt. Rumänien verbündete sich mit Nazideutschland, 1941 wurden die Juden aus Bessarabien und der Bukowina in das von Rumänien besetzte ukrainische Transnistrien deportiert. Die dortigen Ghettos waren unbeschreiblich hoffnungslose Orte. Im März 1944 wurde Hilsenrath befreit. Seine Familie hatte überlebt und ging Anfang der 50er Jahre in die USA. Hilsenrath kehrte 1975 nach Deutschland zurück und lebt heute in Berlin.

Seinen Debütroman »Nacht« begann er bereits 1950. Er schilderte ein Ghetto in Transnistrien, schonungslos und offen. Die Menschen im Ghetto werden zu Tieren, rücksichtslos und voller Angst, vor dem Nächsten unterzugehen. So ist auch die Liebe in diesem Ghetto unromantisch, ohne Zukunft und ohne gegenseitige Versprechen. »Nacht« zeigt die Opfer nicht als edle, sondern als der Hölle überantwortete Menschen, die von den Verfolgern zynisch kalkuliert dem Recht des Stärkeren ausgesetzt werden. Der Roman erschien 1978 erstmals in deutscher Sprache.

»Der Nazi & der Frisör« wurde 1971 zuerst in den USA publiziert und erschien 1977 in Deutschland. Es ist eine erbarmungslose Satire. Ein SS- Mörder gibt sich nach Kriegsende als der möglicherweise durch ihn eigenhändig umgebrachte Jugendfreund Itzig Finkelstein aus, lebt schließlich als angesehener Mann in Israel, kommt aber am Ende mit seiner Vergangenheit nicht mehr zurecht. Eine Erlösung wird ihm jedoch verweigert.

Beide Romane waren große Erfolge in den USA, Frankreich und England. Heinrich Böll war von Hilsenrath begeistert, und vielleicht war es auch dessen Fürsprache zu verdanken, daß die folgenden Romane des stets in deutsch schreibenden Hilsenrath ebenfalls hier verlegt werden konnten.

Ein weiteres Meisterwerk war »Das Märchen vom letzten Gedanken«, das den Genozid an den Armeniern Anfang des Jahrhunderts thematisiert. Doch die endgültige Rettung des Hauptprotagonisten tritt nicht ein. Er entkommt den türkischen Mördern und gerät schließlich in die Vernichtungsmaschinerie der Nazis.

Hilsenrath ist ein fabulierender Erzähler des Grauens, ein Satiriker des Unsagbaren und ein tabubrechender Meister der Burleske. Er schildert Menschen, keine Helden. Gerade das machte ihn so vielen nichtjüdischen Lesern suspekt. Sie wollten Opfer, mit denen man einfacher mitleiden kann. Keine komplexen Menschen, die dem Klischee des Philosemiten nicht mehr entsprechen. Doch Hilsenrath baut höchstens Klischees auf, um diese dann provokant und zugleich realistisch zu brechen.

Dem Menschen und großen Schriftsteller ein Mazel Tov und bis 120¡

 

Quelle:

TRIBÜNE,  Zeitschrift zum Verständnis des Judentums, 35. Jg., Heft 138, 2. Quartal 1996.
Mit freundlicher Genehmigung von Susanne Urban-Fahr.