Der Autor ist Jude, der Held ein Massenmörder und das Buch ein Faschismus-
Satire - diese atemberaubende Kombination hat bundesdeutsche Großverlage
vor der Veröffentlichung eines Werkes zurückschrecken lassen, dem so
der SPIEGEL, "Scheinbar Unmögliches gelingt: Eine Satire über
Juden und SS".
Autor Hilsenrath, 51 Jahre alt, hat die typische Karriere zeitgenössischen
Grauens hinter sich: Geboren 1926 in Leipzig, Vater Kaufmann, Großeltern
orthodoxe rumänische Juden, einziges jüdisches Kind in der Klasse,
flüchtet 1938 nach Rumänien, 1941 im jüdischen Getto in der
Ukraine, Flucht vor den Russen, zurück nach Rumänien, knapp an
Erschießung vorbei, Flucht nach Palästina. 1951 wandert er nach
Amerika aus, lebt dort bis 1975, immer am Rande auch da, kehrt nach Deutschland
zurück und sitzt nun in Berlin, ein "Jude deutscher Kultur, mit einem
Liebesverhältnis zur deutschen Sprache".
Sein erster Roman Nacht , 1964 nur widerstrebend vom
Kindler-Verlag in der bescheidenen Auflage von tausend Exemplaren
herausgebracht, konnte nur wenige Liebhaber finden. Obwohl von der
amerikanischen (besonders von der jüdischen Presse in Amerika) hochgelobt,
verschwand der größte Teil der deutschen Auflage auf rätselhafte
Weise. Nacht schildert den erbarmungslosen und
auch erbärmlichen Kampf der Juden ums Überleben im rumänischen
Getto - so drastisch und schonungslos, daß der Verlag seinerzeit den
Vorwurf fürchtete, hier würden die Opfer verunglimpft. "Das
muß", sinnierte Hilsenrath später, "etwas mit der
Verdrängung zu tun haben."
"Der Nazi & der Friseur", schwärzester Slapstick,
unterhaltsam, poetisch, deftig in der Sprache und spannend wie ein Krimi,
scheint hingegen Bestseller-verdächtig.
Die Geschichte: Max Schulz, zukünftiger Massenmörder, wächst
gemeinsam mit dem Juden Itzig Finkelstein, zukünftiges Opfer, in der
schlesischen Kleinstadt Wieshalle auf. Max und Itzig werden dicke Freunde.
Gelegentlich guckt Max in den Spiegel, sieht seine schwarzen Haare, seine
Froschaugen, seine wulstigen Lippen, seine Hakennase, seine schlechten
Zähne. Dann fragt er sich, warum er denn, der uneheliche, doch rein arische
Sohn der gutmütigen Hure Minna Schulz - zwecks Ariernachweis hat er nicht
nur einen, sondern gleich fünf Väter anzubieten - aussieht wie ein
Jude, der Itzig hingegen seine blonden Haare hat und seine blauen
Augen. Vater Chaim Finkelstein erklärt ihm das so: "Es gibt keine
Juden, die so aussehen wie du, aber das wissen die Leute nicht. Die haben
Vorurteile und glauben eben, so und so müßte ein Jude aussehen. Und
du siehst eben so aus."
Max versteht das, er hat ein "Stürmergesicht".
Max Schulz, in den Windeljahren von Stiefvater Slavitzki, dem
Kinderschänder, so gründlich vergewaltigt, daß ihm künftig
ein Dachschaden bleibt, lernt viel von seinem Freund Itzig. Zum Beispiel in der
Schule, und warum man nach einem Punkt groß anfängt: Weil ein Punkt
kein Komma sei, sondern ein Punkt, und der Punkt sei ein Abschluß und ein
Ende, und wer nach dem Ende neu anfangen wolle, der solle lieber gleich
groß anfangen, denn wer wolle schon klein anfangen? Max und Itzig gehen in
die Lehre bei Vater Finkelstein, dem Friseur mit dem besten Fassonschnitt ohne
Treppen. Damit endet die Gemeinsamkeit.
Als der Führer auf dem Ölberg steht in Wieshalle und alle gekommen
waren, "die mal eins aufs Dach gekriegt haben, alle Verhinderten, die mal
ordentlich zurückschlagen wollen", da wird auch Max leicht zur Beute.
Er geht zur SA, dann zur SS, wird Massenmörder und nach den ersten tausend
toten Juden Kettenraucher. Max Schulz verläßt das KZ Laubwalde ohne
Zeugen.
Nach dem Krieg, auf der Flucht vor der Gerechtigkeit, kommt Max Schulz auf eine
unerhört logische Idee: Wo, wenn nicht in Israel, bleibt ein
Massenmörder unentdeckt? Max Schulz wird zu seinem Opfer, wird Itzig
Finkelstein. Er läßt sich beschneiden, die SS-Runen wegoperieren,
handelt sich dafür eine tätowierte Auschwitznummer ein und hätte
das doch alles bei den eifrigen, frischkonvertierten Philosemiten hinter ihren
Wiedergutmachungs-Schreibtischen gar nicht nötig gehabt. Er hat ja,
zwinkern sie, sein "Stürmergesicht".
Max-Itzig geht nach Palästina, kämpft im Untergrund, heimst
Tapferkeitsmedallien ein, pflanzt Bäume, baut auf dem Kibbuz, wird
Friseursalonbesitzer, macht den unbestritten besten Fassonschnitt ohne Treppen,
schwingt beim Rasieren glühende zionistische Reden und ärgert sich
über den Gesellen Sigi Weinrauch, den Juden, der Deutschland liebt und
Witze reißt über die Zionisten ("Volksschädling nannten wir
so was"). Der Aufstieg des Itzig Finkelstein, dem keiner den Max Schulz
glauben will, ist unaufhaltsam.
Aber der alternde Massenmörder leidet. Er geht in den "Wald der sechs
Millionen", redet mit den Bäumen und sucht und kramt in seiner
Dachschadenecke nach "einer Strafe für sich, die seine Opfer
zufriedenstellt". Doch Mörder und Opfer sind identisch geworden, es
gibt keine Lösung. Max-Itzig stirbt, hochgeachtet und unerlöst, am
Herzen und am Unrechtsbewußtsein.
Was wäre, wäre er im Nachkriegsdeutschland geblieben, als einer, der
"ja nur ein kleines Licht war"? Man hätte ihn aufgespürt,
später, er wäre verurteilt worden, vielleicht, denn nach Laubwalde gab
es keine Zeugen. Aber hätte er dann die Chance gehabt, am
Unrechtsbewußtsein zu sterben?
Hilsenrath, der hier nicht das Opfer, sondern den Henker zum Unhelden macht,
gibt keinen Augenblick Anlaß zu klammheimlicher Freude, auch wenn manches
alte Kameradenherz voreilig hüpfen mag ob des Husarenstückchens von
einem, der durchkam. Der Autor läßt sich in keiner Zeile aufs
Verharmlosen ein. Die Würde der Opfer bleibt unangetastet.
Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 6.11.1977
Mit freundlicher Genehmigung des chrisma Verlages.