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Edgar Hilsenrath

Dichterlesung 1978

Erzählung

Die Augen des Publikums gefielen mir nicht. Ich hatte ähnliche Augen vor mehr als dreissig Jahren gesehen... unter der Mütze mit dem Totenkopf... und ich konnte sie nicht vergessen. Die Leute starrten mich an, weder wütend noch böse, bIoss eiskalt.

Hier sitze ich und kann nicht anders: ein jüdischer Autor auf einem deutschen Thron.

Vor mir, auf dem kleinen Lesepult, liegt mein Buch Der Nazi & der Friseur.

"Wo bin ich eigentlich?" frage ich den Direktor. Er sass neben mir, aschfahl. Er sagte: "In einer kleinen deutschen Provinzstadt. Wir haben Sie eingeladen. Zu einer Dichterlesung. Sie sind der Dichter." Ich sagte: "Ach so." "Genauso", sagte der Direktor. "Und was für ein merkwürdiges Publikum ist das hier?" "NPD", sagte der Direktor. "Die gesamte NPD unserer kleinen deutschen Stadt und Umgebung." "NPD?" fragte ich. "NPD", sagte er. "Das hätten Sie mir früher sagen sollen. Dann wär' ich gar nicht hergekommen." "Ich wusste es nicht", sagte der Direktor. "Ich wusste nicht, dass die NPD zu Ihrer Lesung kommen würde. Die waren nämlich noch nie hier." "Wahrscheinlich bin ich eine ganz besondere Attraktion?" "Ja", sagte der Direktor. "Aber das ist nicht meine Schuld." "NPD", sagte ich. "NPD ohne Hakenkreuzbinden!" "Die haben Hakenkreuzbinden", sagte der Direktor. "Aber sie haben sie versteckt. Vorläufig noch." "Und die braunen Uniformen? Und die schwarzen?" "Auch versteckt. Bis es so weit ist." "Bis die Zeit reif ist?" "Sehr richtig." "Die Leute haben zu Ihrer Lesung nur Fahrradketten mitgebracht", sagte der Direktor. "Fahrradketten sind unpolitisch. Sie haben sie unter den kurzen Jacken. " "Was noch?" "Sie haben auch einen Schäferhund mitgebracht. Der hockt unterm Tisch. Einer von ihnen ... hält ihn straff an der Leine." Ich sagte: "Es knurrte vorhin so komisch. Wusste gar nicht, was das war." "Nur der Hund", sagte der Direktor. "Ich möchte am liebsten fortgehen", sagte ich. "Zurück in mein Hotel." "Das geht nicht", sagte der Direktor. "Warum?" "Weil drei Leute vor dem Ausgang stehen. Sie werden Sie niederschlagen, wenn Sie versuchen, zu entweichen. " "Können Sie nicht die Polizei rufen?" "Ich habe die Polizei schon angerufern", sagte der Direktor. "Die wird bald da sein." "Sind Sie auch sicher?" "Nicht ganz sicher", sagte der Direktor. "Warum?" "Sehen Sie...", sagte der Direktor. "Es handelt sich hier um Rechtsradikale! Nicht um Linksradikale!" "Das versteh' ich nicht." "Bei linksradikalen Radaubrüdern kommt die Polizei sofort. Bei den rechtsradikalen lässt sie sich Zeit." "Ach so", sagte ich. "Ja", sagte der Direktor. "Sie brauchen keine Angst zu haben", sagte der Direktor. >"Man wird Sie nicht vor der Lesung niederschlagen. Die Leute haben zwei Mark gezahlt und wollen auf ihre Kosten kommen. Ich versichere Ihnen: Die Leute werden Sie lesen lassen." "Dann bin ich beruhigt", sagte ich."Wann wird man mich niederschlagen ?" "Erst nach der Lesung", sagte der Direktor.

 

Mit freundlicher Genehmigung von Edgar Hilsenrath