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Edgar Hilsenrath

Fuck America, Bronskys Geständnis

Roman

Mit seinem neuen Roman Bronskys Geständnis  hat Hilsenrath wieder zur autobiographischen Aufarbeitung gefunden. Der Waschzettel verheißt nicht völlig zu Unrecht das Gegenstück zu seinem Roman  Nacht,  der präzisen, krude realistischen Beschreibung des Lebens im rumänischen Ghetto während des Zweiten Weltkrieges. Jakob Bronsky, als Sohn eines jüdischen Möbelhändlers in Halle an der Saale geboren, ist in den frühen fünfziger Jahren endlich in den USA, in New York, und dabei, seinen ersten Roman zu schreiben, um sich von den brutalen Erinnerungen zu befreien. Aber er lebt nicht etwa in einem Zimmer mit Schreibtisch, sondern als ganz armer Hund, für den schon die Graupensuppe in der EmigrantenCaféteria ein Luxus ist, der nachts, nachdem die meisten Gäste gegangen sind, dort am hintersten Tischchen Kapitel um Kapitel schreibt. Und der immer wieder jobben muß, um weiterschreiben, weiterleben zu können. Jobs, die eine Agentur für die Penner in der Warren-Street ihm vermittelt: Kellner für eine Nacht, Nachtportier-Urlaubsvertretung, Hunde reicher Leute aus der Park-Avenue ausführen. Oft muß sich Jakob, ohne Fahrgeld zu bezahlen, bis zur Agentur durchmogeln, und er lernt, die verschiedensten Penner-Tricks anzuwenden, um die Einkünfte aus den Jobs zu erhöhen. Seine sexuellen Bedürfnisse kann er aus Geldmangel nur mit den billigsten Nutten befriedigen.

Der grausame New Yorker Alltag für die Ärmsten, Verkommensten, Recht- und Hilflosesten, die Penner, die Schwarzen, die Puertoricaner - das ist Bronskys Arbeitsumgebung. Wahrhaftig ist auch die Tristesse der Emigrantenszenerie der Unberühmten, Mittellosen; Rechtsanwälte, die als Packer arbeiten, der Mann, der Abend für Abend Luftpostbriefe schreibt (seine Familie ist im Gas umgekommen), die alten Damen, die sich mit Zimmervermieten durchschlagen, aber nur in der Emigrantenzeitung inserieren, nur Emigranten nehmen und da schon mal ein Auge zudrücken, wenn die Miete nicht pünktlich gezahlt wird, weil sie sich mit Recht in New York fürchten. Elend und Mitmenschlichkeit - Hilsenrath gelingt es wieder wie im Roman  Nacht  darzustellen, wie nahe beides zusammengehört, wie intakt die Moral der Heruntergekommenen ist, auch wenn sie sich die hemmende Wohlanständigkeit nicht leisten können. Anders noch - und darum bemitleidenswerter - die armen Emigranten, die versuchen, ihre Lebensart noch im Elend zu bewahren und Bronsky auf hilflos rührende Weise zu unterstützen versuchen, ja, ihn bewundern, als sie erfahren haben, daß er an einem Roman schreibt.

Anders als im genannten ersten Roman hat Hilsenrath sich aber nun schon in der Satire erprobt (Der Nazi & der Friseur), und so hat er den neuen Roman als Satire angelegt. Er beginnt nämlich mit einem verzweifelten Brief von Bronsky an den amerikanischen Generalkonsul in Berlin nach den Ausschreitungen des 9. Novembers 1938, der sogenannten Kristallnacht, die die Familie Bronsky schwer getroffen hat, und der Bitte, den Bronskys möglichst rasch die Einreisepapiere für die USA zu übersenden. Nach Monaten kommt die Antwort aus Berlin mit dem Hinweis, daß die Aufnahmequoten für Einwanderungswillige festgesetzt seien und der Ansturm einwanderungswilliger Juden so groß, daß die Bronskys wohl erst in dreizehn Jahren mit der Einwanderung würden rechnen können, wenn sie die für die Befürwortung notwendigen Bürgen nennen könnten. Und richtig - nach dreizehn Jahren, nach Genozid und Weltkrieg, kommt der Überlebende Jakob Bronsky als Greenhorn in die USA und (erfundener Zufall) hat denn auch den Hund eines alten, fast erblindeten Konsuls auszuführen, an den sich für ihn die Geschichte der Vertröstung von 1939 anbinden läßt.

Hilsenrath schreibt zu Beginn seines Buches, daß er bewußt Dichtung und Wahrheit vermischen wolle, auch wenn er auf den Brief seines Vaters Bezug nehmen würde. Ich hätte es im Interesse der Wahrheitsfindung für richtiger gehalten, wenn Hilsenrath in diesem leider gar nicht besonderen Fall der Familie Bronsky dokumentarisch verfahren wäre, um ein noch unaufgearbeitetes Kapitel Vergangenheit zu erhellen, den Widerspruch von Humanität und Bürokratismus bloßzustellen und damit ein ganzes Stück Nachkriegsgeschichte neu zu definieren.

Nun, Hilsenrath hat sich für die Spielform der Satire entschieden, den verdeutlichenden Effekt der Satire aber nicht voll genutzt, sondern, motiviert vom Wunsch, die brutale Härte der Story aufzubrechen, seine Möglichkeiten als Autor ausgeschöpft. Er erzählt einer berühmten Fernsehpsychologin seine Überlebensgeschichte; er beschreibt seine Geburt aus der Sicht des Embryos im Mutterleib; er stellt sich den schriftstellerischen und den Erfolg bei der Chefsekretärin eines berühmten New Yorker Verlages vor; er erfindet eine vergnüglich- bittere Heiratsanzeigen-Episode. Dialogpartien wechseln mit erzählerischen Passagen, die Story wird bald unter die Lupe genommen, bald verfremdet. So entsteht eine Realität in der Realität, ungeschönt kraftmeierisch, aber gerade dadurch ohne Larmoyanz, ohne Elendsprotzerei. Trotz mancher Déjà-vu-Effekte in der Schilderung des Submilieus ein kräftiger Roman, wenn auch nicht die Anklage Amerikas - wie es im Waschzettel ein wenig saison-modisch heißt -, weil Hilsenrath aus erzählerischer Lust die Anlage des Buches nicht voll durchgehalten hat. Dennoch auffallend zwischen vielerlei selbstquälerischer Erfindungsarmut.

 

Quelle:

Der Tagesspiegel, 26.10.1980

veröffentlicht in:
Kraft, Thomas (Hrsg.): Edgar Hilsenrath: Das Unerzählbare erzählen Piper Verlag, München 1996.

Mit freundlicher Genehmigung von B. Drewitz.