Das Thema ist gewagt, brisant und reizvoll: Das Leben des Max Schulz, Sohn eines
auf den Strich gehenden Dienstmädchens im Hause des jüdischen
Pelzhändlers Abramowitz, steht im Mittelpunkt von
Edgar Hilsenrath: "Der Nazi & der Friseur."
Literarischer Verlag Braun, Köln. 424 S. Ln.
Die Vaterschaft ist ungeklärt, fünf Männer, die friedlich
miteinander leben, kämen in Betracht. Aber völlig geklärt
hingegen ist seine sogenannte arische Herkunft, die in dem Handlungsverlauf eine
wesentliche Rolle spielt. Sie ermöglicht es ihm, in der Hierarchie der SA
und später der SS aufzusteigen, obgleich ihm eine enge Freundschaft zu dem
gleichaltrigen Itzig Finkelstein bei dieser Karriere zuweilen Schwierigkeiten
bereitet.
Mit dem Zusammenbruch der NS-Zeit bricht auch Max Schulzens Aufstieg zusammen.
Er hat gleich vielen anderen Nationalsozialisten eine blutbefleckte Weste,
versteht es aber auf seine Weise, diesen Makel von sich zu wenden. Durch Itzig
Finkelstein und seinen Vater, Inhaber eines Frisiersalons, bei dem Max in der
Lehre gewesen war, hatte er jüdische Sitten und Gebräuche erfahren,
deren Kenntnis ihm später die Basis schafft für den Ausweg aus der
prekären Situation nach der bedingungslosen Kapitulation der
Hitlergeneräle.
Da die Familie Finkelstein samt und sonders, nicht ohne Maxens aktive Mithilfe,
gemeuchelt wurde, schlüpft Max mit Hilfe falscher Papiere in die Figur des
Itzig. Aus dem Nationalsozialisten Max Schulz wird der Jude Itzig Finkelstein,
der nach Israel auswandert und dort seinem erlernten Beruf nachgeht. Er wird zu
einem allgemein angesehenen israelischen Bürger. Obwohl Max Schulz alias
Itzig Finkelstein ein abgebrühter Bursche ist, dem menschliche Empfindungen
fremd sind, zerbricht er doch an der Tatsache, daß seine Massenmorde nicht
sühnbar und deshalb niemals verzeihbar sind.
Hilsenrath hat, wie mit Sicherheit anzunehmen ist, viele eigene Erlebnisse in
die Handlung einfließen lassen - er war ja Augenzeuge der historischen
Geschehnisse, die er schildert. Dem Autor geht es nicht um einen fiktiven Roman,
wenn die Handlung auch frei erfunden ist und in der Wirklichkeit kaum eine
Parallele finden dürfte. Ganz sicher kann man allerdings nicht sein, da
bekanntlich viele SS-Männer sich nicht nur ihre in den Arm eingebrannten
SS-Runen beseitigen ließen, sondern sich auch mit gefälschten
Ausweisen ausstatteten, um unerkannt unterzutauchen, um für ihre einstigen
"Heldentaten" nicht Rechenschaft ablegen zu müssen.
Der Stil Hilsenraths ist präzise, fast nüchtern und sachlich. So wird
Hilda, "Dienstmädchen der Finkelsteins" auf diese Weise
nahegebracht: "Die dürre Hilda: zwei Meter lang, zwei Meter dürr,
Vogelgesicht, pechschwarzes Haar" (S.9). Zu Finkelstein, dem Vater Itzigs,
wird gesagt: "Noch kleiner als seine Frau, aber nicht rundlich. Ein
winziges, mageres Männchen - linke Schulter etwas schief, als hätten
sich 2000 Jahre Exil, 2000 Jahre Leid an diese Schulter gehängt"
(ebd.). Diese Kargheit, die an die Präzision der Sprache von Sternheim
erinnert, genügt, um zu zeigen, wie Hilsenrath seine Figuren
porträtiert und plastisch werden läßt. So treffsicher gelingt
dem Autor auch das historische Bild, es ist zynisch, sarkastisch, knallhart.
An einigen Stellen bricht bedauerlicherweise des Autors abfällige Meinung
über die jüdische Gemeinschaft in Deutschland hervor "Ein Jude,
der stolz auf sein Volk ist, bleibt nicht in Deutschland" (S. 198), gemeint
ist das Nachkriegsdeutschland.
Auf Seite 381 heißt es, nicht einmal so ganz abwegig, wenn man diesen Satz
aus israelischem Blickwinkel sieht: "Wir brauchen hier jede Hand, jeden Arm
und jeden Kopf... Wer zurückfährt nach Europa, ist ein
Verräter!... Und wer zu seinen Tanten und Onkeln nach Amerika fährt,
der ist ein Schuft!"
Das Wesentliche ist jedoch, daß der historische Hintergrund der Handlung
echte Tatsachen enthält. Da vieles satirisch gemeint ist, kann man nicht
vollauf überzeugt sein, daß die berechtigten
"Bewältigungsversuche" Hilsenraths alle Leser verstehen -
verstehen wollen. Ob die außergewöhnliche Brutalität (oft auch
unnötig pornographische Art) die Wirkung erzielt, die Hilsenrath erwartet,
sei dahingestellt. Auch, daß der Inhalt oft die Umrisse eines
Kriminalromans aufweist, mindert in keiner Weise den hohen literarischen Wert
und die geschichtliche Bedeutung dieses spannnenden Romans, der die teuflischen
Ziele des Nationalsozialismus bloßlegt.
Allgemeine jüdische Wochenzeitung, Düsseldorf (Nr. 32/46, S.6)